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03. September 2025
Experten-Perspektive
Als Antibiotika im frühen 20. Jahrhundert in die klinische Praxis eingeführt wurden, stieg die Lebenserwartung sprunghaft an, und Eingriffe wie Organtransplantationen, Chemotherapie und Herzoperationen wurden überhaupt erst möglich.1 Doch genau diese Medikamente, die die Medizin revolutioniert haben, erfordern heute einen besonders verantwortungsvollen Umgang: Fehlgebrauch beschleunigt die Entwicklung von Antibiotika-Resistenzen – in den USA entstehen dadurch jedes Jahr mehr als 2.8 Millionen antibiotikaresistente Infektionen, und über 35.000 Menschen sterben daran.2 Weltweit trägt AMR Schätzungen zufolge zu rund 4,95 Millionen Todesfällen pro Jahr bei.3
Missbrauch kann vieles bedeuten, aber unangemessene Verschreibungen sind besonders problematisch. In den USA schätzt die CDC, dass 30–50 % der Antibiotikaverordnungen in Krankenhäusern und 40–75 % in Pflegeheimen unangemessen oder unnötig sind. In Arztpraxen und Notaufnahmen sind etwa 30 % dieser Rezepte unnötig.4
Während meiner Zeit als Krankenhausapotheker leitete ich mehrere Programme zum verantwortungsvollen Einsatz von Antibiotika, die darauf abzielten, unangemessene Verordnungen zu reduzieren. Dabei stellte ich fest: Fachpersonal versteht die Gefahren von AMR grundsätzlich – doch am Patientenbett steht es in einem Spannungsfeld zwischen dem Schutz der öffentlichen Gesundheit und dem Schutz einzelner Patient/innen. Eine Fachperson, die weiß, dass ein Husten vermutlich viral ist, sorgt sich dennoch: „Was ist, wenn eine bakterielle Sekundärinfektion diese Person ins Krankenhaus bringt?“ Ärzt/innen, die ein Kind mit Halsschmerzen untersuchen, denken: „Ein Antibiotikum wird nicht schaden – nur für den Fall der Fälle.“ Hochgerechnet auf viele Praxen nähren diese nachvollziehbaren, fast altruistisch wirkenden Entscheidungen einen nicht nachhaltigen Kreislauf der Resistenzentwicklung.
Um Verhalten zu verändern, starteten wir Kampagnen, die individuelles Handeln mit messbaren Ergebnissen verknüpften. Wir zeigten Verordnenden, wie ihr Antibiotikagebrauch im Vergleich zu ihren Kolleginnen und Kollegen aussah, und machten sichtbar, welche Patient/innen später Nebenwirkungen oder C. difficile-Infektionen entwickelten.
Da auch die Erwartungen der Patient/innen zu Überbehandlungen beitragen, hing in jedem Untersuchungsraum ein unterzeichneter Vorsatz: „Virale Infektionen brauchen keine Antibiotika. Unsere Praxis verpflichtet sich zu einem verantwortungsvollen Einsatz von Antibiotika, um Resistenzen zu bekämpfen.“ Außerdem entwickelten wir einen „viralen Rezeptblock“, auf dem Ruhe, Flüssigkeitszufuhr, Paracetamol und andere unterstützende Maßnahmen aufgeführt waren. So bekamen Patient/innen dennoch etwas Konkretes mit – und die Behandelnden konnten aufklären, den Genesungsverlauf beschreiben und den Besuch abschließen, ohne reflexartig Antibiotika zu verschreiben.
Die Maßnahmen, die wir in unseren Stewardship-Programmen einsetzten, wurden noch wirkungsvoller, als wir sie mit schnellen molekulardiagnostischen Tests kombinierten. Traditionelle Kulturverfahren liefern Ergebnisse erst nach mehreren Tagen – zu einem Zeitpunkt, an dem die empirische Therapie meist schon begonnen hat. Molekulare Assays können jedoch Erreger in nur etwa einer Stunde identifizieren, sodass Behandelnde schon während des Besuchs entscheiden können, ob ein Antibiotikum überhaupt notwendig ist. Das führt nicht nur zu einem besser begründeten Einsatz von Antibiotika, sondern auch zu besser informierten Patient/innen – ganz im Sinne der kürzlich vom CDC veröffentlichten *Core Elements of Hospital Diagnostic Excellence.5
Ergebnisse, die kürzlich in einem Manuskript im American Journal of Medical Quality6 vorgestellt wurden, untermauern die Auswirkungen, die schnelle Molekulardiagnostik auf Verordnungsgewohnheiten hat – insbesondere im ambulanten Bereich. Die Studie sollte klären, ob die Verfügbarkeit schneller syndromischer, PCR-basierter Tests, die in diesem Fall Ergebnisse am nächsten Tag liefern, von ambulant tätigen Gesundheitseinrichtungen in den USA genutzt wird, um Entscheidungen zur Antibiotikaverschreibung zu steuern.
Die Untersuchung, durchgeführt mittels einer Umfrage unter ambulanten Leistungserbringern, die diese Tests regelmäßig nutzen, zeigte: Die überwältigende Mehrheit der Befragten (97,5 %) verwendet die Testergebnisse, um Verschreibungsentscheidungen zu treffen. Fachpersonen waren nahezu gleichmäßig aufgeteilt zwischen jenen, die zunächst Antibiotika verordneten und später die Behandlung ggf. anhand der Ergebnisse anpassten (48,6 %), und jenen, die mit dem Verschreiben warteten, bis die Testergebnisse vorlagen (48,9 %).
Auffällig war, dass Pflegefachkräfte und Assistenzärzt/innen deutlich häufiger als Ärzt/innen warteten, bis Testergebnisse vorlagen, bevor sie Antibiotika verschrieben (52,1 % vs. 39,0 %). Ähnlich sah es im Vergleich zwischen der Primärversorgung und der Akutversorgung aus: Erstere hielt Rezepte wesentlich öfter zurück als Letztere (61,2 % vs. 39,1 %). Darüber hinaus berichteten Leistungserbringende über Veränderungen ihres Verordnungsverhaltens nach Einführung der Tests: 57,6 % gaben an, dass die Genauigkeit ihrer Verschreibungen aus ihrer Sicht gestiegen sei, und 25 % berichteten von weniger Antibiotikaverschreibungen.
Die Ergebnisse sind ermutigend – aber sie zeigen auch, dass noch erheblicher Verbesserungsbedarf besteht. Etwa die Hälfte der Fachpersonen wartete auf die Ergebnisse, bevor sie Antibiotika verschrieben, die andere Hälfte jedoch nicht. Warum? Sind die Arbeitsabläufe zu umständlich? Verzögert sich der Datenzugang? Wird mehr Schulung zur Interpretation der Ergebnisse benötigt? Diese potenziellen Hürden zu beseitigen, ist entscheidend.
Kosten sind eine weitere Überlegung. Molekulare Tests sind teurer als Standardkulturen, aber unangemessene Verschreibungen bergen versteckte Kosten: Nebenwirkungen von Medikamenten, C. difficile-Infektionen und eine Störung des Mikrobioms, die kurzfristig7 zu gastrointestinalen Beschwerden und laut neuer Forschung langfristig zu chronischen Erkrankungen wie Diabetes beitragen kann.8 Neben Einzelschicksalen sind auch die Auswirkungen auf die Gesellschaft durch Antibiotika-Resistenzen zu berücksichtigen. Resistenzen gibt es seit Jahrtausenden in der Natur;9 unser Ziel ist daher nicht, sie auszurotten, sondern ihren Anstieg zu verlangsamen. Ein umsichtiges Antibiotika-Management, gestützt durch schnelle Diagnostik, bleibt unsere stärkste Verteidigung gegen eine Zukunft, in der gewöhnliche Infektionen wieder lebensbedrohlich werden könnten.
Wenn wir das Engagement der Behandelnden, die Aufklärung der Patient/innen und schnelle diagnostische Erkenntnisse zusammenbringen, können wir die Wirksamkeit von Antibiotika für heutige und zukünftige Generationen bewahren.
Literatur
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